Geschichte
Die Geschichte der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie in Rostock ist eng verknüpft mit der Entwicklung der Zahnmedizin als universitärem Fachgebiet. Nachdem 1906 in der Praxis des Rostocker Zahnarztes Paul Birkenfeldt eine privat geführte "Zahnärztliche Poliklinik" entstanden war, kam es zu einer raschen Aufwärtsentwicklung der Rostocker Zahnmedizin, für die drei Persönlichkeiten prägend waren. Dies waren Johannes Reinmöller (1877 - 1955), Hans Moral (1885 - 1933) und Matthäus Reinmöller (1886 - 1977), die für Ihre Verdienste alle drei mit der Ehrendoktorwürde der Medizinischen Fakultät geehrt wurden.
Johannes Reinmöller war sowohl Arzt als auch Zahnarzt und Lektor für Zahnmedizin an der Universität Rostock. Er erkannte vorausschauend die Notwendigkeit stationärer Behandlungsmöglichkeiten für Patienten mit schweren Erkrankungen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich und gründete 1907 eine private "Fachkrankenanstalt" mit sechs kieferchirurgischen Betten. Vor über 100 Jahren hatte Rostock damit die erste Fachklinik dieser Art in Deutschland. Rostock, das erst relativ spät das Zahnmedizinstudium eingerichtet hatte, übernahm damit eine Wegbereiterfunktion auf dem Gebiet der klinischen Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Nach der Habilitation wurde er 1909 Privatdozent für das Fach Zahnheilkunde an der Medizinischen Fakultät. Bereits ein Jahr später wurde für Reinmöller ein Extraordinariat in Rostock eingerichtet.
Bei einer inzwischen auf 72 angestiegenen Studentenzahl genügte das Gebäude der Privatklinik - inzwischen in "Zahnärztliches Lehrinstitut" umbenannt – nicht mehr den räumlichen Anforderungen. Deshalb verlagerte Johannes Reinmöller 1919 seine Privatklinik in zwei andere, benachbarte Gebäude. Im gleichen Jahr wurde er auf den Lehrstuhl für Zahnheilkunde berufen, der im Rahmen des 500-jährigen Bestehens der Universität Rostock neu geschaffen worden war und der erste für das Fachgebiet in Deutschland war. Nach Ende des Ersten Weltkrieges stieg die Studentenzahl auf 107. Rostock nahm in Qualität und Quantität der Zahnmedizinausbildung inzwischen einen führenden Platz in Deutschland ein.
1920 verließ Johannes Reinmöller zum Bedauern der Medizinischen Fakultät Rostock aus persönlichen Gründen. Seine Privatklinik wurde vom Land Mecklenburg erworben und erhielt die Bezeichnung "Universitätsklinik und -poliklinik für Mund- und Zahnkrankheiten". Zum Nachfolger Reinmöllers wurde der ebenfalls doppelt approbierte Hans Moral berufen, der seit 1913 in Rostock als Assistent begonnen hatte und nach Habilitation im Jahre 1914 als Privatdozent wirkte. Seit 1914 war Moral bereits mit der kommissarischen Leitung der Rostocker Klinik betraut, da Reinmöller während des gesamten Ersten Weltkrieges mit kurzer Unterbrechung als Sanitätsoffizier eingezogen war. Moral übernahm 29-jährig mit enormem Einsatz Vorlesungen in allen Gebieten der Zahnheilkunde. 1920 als Extraordinarius zum Klinikdirektor berufen, wurde Moral 1923 Lehrstuhlinhaber für Zahnheilkunde in Rostock. Es gelang ihm 1924, die während des Krieges stillgelegte kieferchirurgische Bettenstation mittels einer Stiftung wieder einzurichten. Da die für maximal 50 Studierende ausgelegte Klinik für den akademischen Unterricht nicht mehr ausreichte, verfasste Moral 1929 eine Denkschrift, in der er einen Klinikneubau forderte. Dieses Ziel verfolgte er konsequent weiter, zumal sich die Situation 1932 aufgrund eines Anstieges der Studentenzahl auf 269 weiter zuspitzte. Die Umsetzung dieses ehrgeizigen Planes gelang jedoch erst seinem Nachfolger Matthäus Reinmöller.
Hans Moral war wissenschaftlich äußerst produktiv. Unter den zahlreichen Publikationen finden sich Lehrbuchbeiträge zu "Anatomie und Physiologie" im Rahmen der "Ergebnisse der gesamten Zahnheilkunde" (1912), ein "Atlas der Mundkrankheiten" (1924) sowie die fortlaufende Bearbeitung des Kapitels "Spezielle Pathologie der Mundhöhle" im Rahmen der Schriftenreihe "Fortschritte der Zahnheilkunde" (1926 - 1934). Durch Morals zahlreiche wissenschaftliche Kontakte festigte sich der Ruf der Rostocker Klinik im In- und Ausland. Vortragsreisen führten ihn in zahlreiche europäische Länder. Zudem war Moral Ehrenmitglied von neun internationalen zahnärztlichen Gesellschaften. Für zwei Jahre wählte die Rostocker Medizinische Fakultät Moral zu ihrem Dekan.
Wegen jüdischer Abstammung wurde Moral im April 1933 durch die Landesregierung beurlaubt und bald darauf trotz Intervention der Rostocker Medizinischen Fakultät aus seinem Amt entlassen. Durch diesen Schicksalsschlag schwer getroffen, wählte Moral am 6.8.1933 den Freitod. 70 Jahre später wurde der Rostocker Klinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde in Würdigung seiner großen Verdienste der ehrenvolle Name "Hans Moral Klinik" verliehen.
Als Nachfolger Hans Morals wurde 1933 sein langjähriger Oberarzt, Matthäus Reinmöller – der Bruder des Klinikgründers - berufen. Der ebenfalls als Zahnarzt und Arzt approbierte Matthäus Reinmöller hatte sich 1923 unter Moral habilitiert und war bereits seit 1928 außerordentlicher Professor für Zahnheilkunde. Seinem zähen Agieren ist es zu verdanken, dass 1936 mit dem Klinikneubau begonnen wurde. Reinmöller erwirkte eine in Größe und Ausstattung großzügige Bauausführung. Besonderen Wert legte er auf optimale stationäre Behandlungsmöglichkeiten mit modernen Operationsräumen und hellen Krankenzimmern für bis zu 40 Patienten. So eröffnete die "Klinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde" in Rostock am 1. März 1938 als eine der damals modernsten Zahnkliniken Europas.
Ihrem eigentlichen Zweck der zahnärztlichen Versorgung sowie der Lehre und Forschung diente diese Klinik jedoch nur kurz. Schon im September 1939 wurde sie zu einem Reservelazarett umfunktioniert. Die Bettenzahl erhöhte sich von anfangs 80 auf 150 im Jahre 1944 verbunden mit einer erheblichen Einschränkung der zahnärztlichen Behandlungsmöglichkeiten. Die volle Arbeitsfähigkeit der Klinik (auf Vorkriegsniveau) wurde erst 1953 wieder erreicht. Nach 22-jähriger engagierter Klinikleitung wurde Reinmöller 1955 emeritiert.
Im Rahmen der sich in der Zahnmedizin durchsetzenden Spezialisierung vertrat Matthäus Reinmöller als Lehrstuhlinhaber seit 1952 die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, während aus den bestehenden Oberarztbereichen zunächst Abteilungen für Konservierende und Prothetische Zahnheilkunde sowie Kieferorthopädie, später auch Abteilungen für Parodontologie und Kinderzahnheilkunde entstanden.